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In dieser Ausgabe von indeon weekup geht es um sexualisierte Gewalt. Es kommen Betroffene zu Wort. Bitte achte auf dich, wenn du diese Zeilen liest. 

indeon Umfrage:

Wir wollen wissen:
Wie belastend findest du das Missbrauchs-Thema?

💙 Sehr belastend
💙 Belastet mich schon
💙 Kann mich gut distanzieren

Wie die indeon-Community fühlt, liest du im nächsten Newsletter.

Vergangene Woche wollten wir wissen: 
Ist Ghosting in Freundschaften okay?
💨 Ja, absolut okay (14 %)
💨 Manchmal akzeptabel (36 %)
💨 Geht gar nicht (50 %)


(Das Ergebnis bezieht sich auf den Newsletter und unseren Instagram-Kanal.)

Hallo liebe:r Leser:in,

mich hat die vergangene Woche ganz schön mitgenommen. Unser Medienhaus bereitet sich auf einen Umzug vor, wir sitzen schon zwischen Kartons. Und wenn die Kirchensynode tagt, bedeutet das für uns viele Überstunden, auch am Wochenende.

Dieses Mal war die Tagung aber auch emotional anstrengend. Denn sie hat ein Thema in den Fokus genommen, was uns alle angeht: Sexualisierte Gewalt und Missbrauch im Schutze der evangelischen Kirche.

Als im Januar 2024 die ForuM-Studie herausgekommen ist, blieb der große Aufschrei aus. Vielleicht, weil die Gesellschaft nicht überrascht war, vermutet die Synoden-Vorsitzende Birgit Pfeiffer im Gespräch mit mir. Eine kurze Zeit lang ging es um Personalakten, das Design der Studie und andere Formalitäten, dann ebbte das öffentliche Interesse ab. 

Nicht so bei Matthias Schwarz. Schon im Januar hat er mir das erste Mal seine Geschichte erzählt, nun hat er wieder mit mir über seine Gewalterfahrung gesprochen. Er spricht wiederholt aus der Perspektive der Betroffenen: Auf Pfarrkonventen, in Gemeinden, an der Uni und auch vor der EKHN-Synode. 

Wenn du diesen Newsletter liest und dich bei dem Thema unwohl fühlst, dann höre bitte auf damit. Oder lies ihn lieber mit jemandem zusammen und sprich darüber, warum das so ist.

Wenn du Hilfe und Unterstützung rund um das Thema sexualisierte Gewalt brauchst, kannst du dich hier melden:

📞 Hilfetelefon sexueller Missbrauch0800 - 22 55 530 

📞 Telefonseelsorge0800 - 1110111 oder 0800 - 1110222

🌐 Zentrale Anlaufstelle.help der EKD

🌐 Hilfeportal der UBSKM bei sexuellem Missbrauch

Die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN erreichst du
per 📲 E-Mail an geschäftsstelle@ekhn.de
telefonisch 📞 unter 06151-405 106
online 🌐 bei der anonymen Meldestelle der EKHN

Und auch mit Matthias Schwarz selbst kannst du Kontakt aufnehmen:
Matthias.Schwarz@befo.ekd.de

Danke fürs Lesen.
Herzlichst, deine Esther.

Editorial von indeon

Nach jeder Veröffentlichung seiner Geschichte haben sich bei Matthias Schwarz weitere Betroffene gemeldet. Menschen, die ihm schildern, wie sie sexualisierte Gewalt innerhalb der evangelischen Kirche erfahren haben. „Wenn wir sehen, jemand hat den Mut, sich öffentlich darzustellen, haben wir als Betroffene selbst auch Mut gekriegt, uns zu outen“, betont er. 

Er war maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass sich vergangene Woche die Kirchenvertreter:innen auf der EKHN-Synode intensiv auf das Thema einlassen konnten und mussten. Wie das ausgesehen hat, habe ich für dich aufgeschrieben und in einem Video zusammengefasst.  

indeon-weekup
Besonders bewegend war für mich der Gottesdienst auf der Synode. Vorbereitet und gestaltet wurde er von Betroffenen. Drei Geschichten von sexualisierter Gewalt wurden vorgetragen, eine Person hat selbst vor den Synodalen gesprochen. Während des Gottesdienstes waren keine Bild- und Ton-Aufnahmen erlaubt. Trotzdem möchte ich mit dir hier die Geschichten aus dem Gedächtnis teilen.

Vielleicht liest du diesen Teil des Newsletters lieber nicht weiter oder nicht alleine!

Die Geschichten machen wütend und beschämen all jene, die geschwiegen haben. Mich macht diese Ungerechtigkeit und das gesellschaftliche Versagen fassungslos. 

„Er ist doch so attraktiv“: Schuldgefühle nach Missbrauch in der Kirche

„Ein Trauma endet nicht mit der eigentlichen Tat. Ein Trauma beginnt dann erst. Noch Jahre, noch viele Jahre später spüre ich die Folgen. Zum Beispiel die Schlafprobleme. Ich komme nachts nicht zur Ruhe. Dafür bin ich tagsüber müde, kann mich schlecht konzentrieren, bin sehr dünnhäutig.

Oder: Die Flashbacks. Dann überfallen mich die Erinnerungen. Dann bin ich wieder mittendrin in der Angst und der Ohnmacht. Das ist schrecklich. Es kostet mich eine große Kraft, mir dann zu sagen: Das ist vorbei. Denn der Schmerz und die Wut sind nicht vorbei.

Ich fühle mich benutzt, dreckig und hasse meinen Körper.

Ein anderes großes Thema sind die Schuldgefühle, die mich quälen. Die Schuld landete nicht beim Täter, sondern bei mir. Dann kommen Sätze aus der Gemeinde wie: ‚Er ist doch so attraktiv‘ oder ‚Alle schwärmen für ihn, es kann doch gar nicht wahr sein‘.

Wie oft musste und muss ich mir selbst sagen: ‚Nein, das war nicht deine Verantwortung! Nein, du bist nicht Schuld!‘ Und doch höre ich in mir drin die Stimmen, die sagen ‚Er war doch so attraktiv und wenn alle für ihn geschwärmt haben, wolltest du es nicht doch?‘. Nein, ich wollte es nicht.

Doch Gemeinden tun sich schwer damit, die Verantwortung und Schuld Tätern zu geben… Ich habe erlebt, wie die Täter geschützt werden. Wenn du auf Grenzüberschreitungen hinweist, wirst du ausgegrenzt. Dann heißt es auf einmal: ‚Suche dir doch einen anderen Hauskreis.‘ Dann dürfen die Täter bleiben und die, die es offen legen, dürfen gehen.

Das ist nicht die Kirche, wie sie sein sollte. Das ist nicht die Kirche, wie ich sie mir erhoffe. Das Trauma ist nicht vorbei. Die Wunden sind nicht verheilt… Wie soll da Vergebung funktionieren?“

Briefwechsel zwischen einem Betroffenem und dem Täter

Ich trat meinem Täter gegenüber. Ich wollte es. Ich musste ihm in die Augen sehen. Es war ein abstruses Gespräch, in dem er sich rechtfertigte, in dem er immer wieder auswich. Keine Spur von Reue war zu erkennen. Es fiel ihm sichtlich schwer zuzugeben, dass er etwas Falsches gemacht hat. Wie auch immer. Am Ende des Gespräches vereinbarten wir, dass er sich schriftlich bei mir entschuldigen sollte. Es kam zu folgendem Briefwechsel:

Pfarrer
: Hallo. Was mich gestern geschmerzt und aufgeregt hat, dass sie zu verstehen gegeben haben, dass ich ihnen Böses zugefügt habe. Ich will die Diskussion nicht weiter anheizen, sondern eingestehen, dass ich mit der Berührung Ihres Penis eine Grenze überschritten habe, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Ich wollte Ihnen nicht weh tun, nicht körperlich und nicht seelisch. Aber nun weiß ich, dass das falsch war und Sie sich dadurch geschändet gefühlt haben, was Sie mir aber nicht zu verstehen gegeben haben. Ich möchte Sie darum um Entschuldigung bitten, um Entschuldigung kann man nur bitten, man kann sich nicht selbst entschuldigen. Verbitten möchte ich mir aber Ihre Anschuldigungen, was meine pfarramtliche Wirksamkeit betrifft. Ich denke, das können andere besser beurteilen. Mein frommes Getue, meine Darstellung nach außen, wie Sie sie darstellen, das empfinde ich als eine Beleidigung.

Ich antwortete: Guten Tag Herr E., Ihr Brief mit der Bitte um Entschuldigung ist bei mir eingegangen. Allerdings bestätigt der Brief mir den Eindruck, den ich schon während des Gesprächs in der Kirchenverwaltung hatte, und der sich mir schon bei Ihrer Stellungnahme aufdrängte. Mein Eindruck ist, dass Sie keinerlei Unrechtsbewusstsein haben. Wie jämmerlich ist es alleine schon, dass Sie es nicht einmal schaffen, mich namentlich anzureden. Ich kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ihrer Bitte nicht entsprechen, kann Ihnen also keine Entschuldigung zugestehen.

Darauf antwortete Pfarrer E.: Hallo. Es fällt mir in der Tat sehr schwer, Sie anzureden. So wie Sie mir in Darmstadt begegnet sind, fällt es mir schwer ‚Sehr geehrter‘ oder gar ‚Lieber Herr B.‘ zu sagen. Ich bin nach Darmstadt gefahren in der Hoffnung, dass wir uns am Ende des Gesprächs umarmt hätten. Und ich wieder ‚Lieber T.‘ hätte sagen können. Sie bemängeln, dass ich keinerlei Unrechtsbewusstsein habe. Im Gegensatz zu den beiden Frauen, bin ich immer noch der Meinung, dass es richtig war, was ich getan habe. Dass ich Sie damit physisch und psychisch verletzt habe, das habe ich erst voriges Jahr im Juni, also 40 Jahre später, durch Ihren ersten Brief erfahren. Schade, dass Sie meiner Einladung zu einem Gespräch nicht nachgekommen sind. Wenn ich Sie jetzt um Entschuldigung bitte, dann nur dafür, dass ich Sie angefasst habe. Wie ich Ihnen mitgeteilt habe, ist es mir wichtig, dass ich in meinem Alter, ich bin inzwischen 81 Jahre alt, alles in Ordnung bringe, was vor meinem absehbaren Tod noch zu bereinigen ist. Und ich empfehle dringend, einmal nachzulesen, was Jesus zu dem Thema sagt: ‚Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn: Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester dir Unrecht tut, wie oft soll ich ihnen vergeben? Bis zu siebenmal? Jesus antwortete: Nicht nur siebenmal, ich sage dir, bis zu siebenundsiebzigmal.‘ Es wäre mir wichtig auch mit Ihnen in Frieden zu leben. Das wünscht sich von ganzem Herzen, Pfarrer E.“

Voller Zorn schrieb ich einen letzten Brief: Guten Tag Herr E. Ihnen scheint wohl nicht bewusst zu sein, dass Sie einen sexuellen Übergriff gegenüber Minderjährigen begangen haben. Eine Tat, die auch schon vor 40 Jahren unter Strafe stand. Mittlerweile bedauere ich es, dass ich erst jetzt den Mut gefunden habe, diese öffentlich zu machen. Hätte ich es früher getan, hätte die Chance bestanden, Sie vor Gericht zu zitieren. Sie haben den Tatbestand des sexuellen Übergriffs mir gegenüber mehrfach erfüllt. Ich bin sicher, es gibt noch andere Opfer. Vielleicht sollte ich mich auf die Suche begeben, damit wir gemeinsam gegen Sie vorgehen können. Sie wollen vor Ihrem Tod Ihr Leben in Ordnung bringen? Dann haben Sie noch einiges zu tun. Vor allem wäre es gut, fände ich, wenn Sie ehrlich zu sich selbst wären. Und zu dem stehen könnten, was Sie getan haben. Sie erwarten, dass ich Sie entschuldige? Warum? Sie haben doch keinerlei Schuldbewusstsein.“

Spuren des Leids

Ich war ein Kind, als er anfing mich zu begrapschen. Dann musste ich ihn befriedigen. Als er mich das erste Mal vergewaltigte, verließ ich meinen Körper. Er war verheiratet und sagte, ich darf niemandem davon erzählen. Er würde sonst seine Arbeit in der Kirche verlieren.

Also schwieg ich.

Als ich ihn anzeigen wollte, mit 30, hieß es: Alle Taten seien verjährt. Doch in meinem Körper, in meiner Seele verjährte nichts. Ich wollte ihn erschießen, aber es gelang mir nicht am Bahnhof eine Pistole zu kaufen.

Nach mehr als 40 Jahren habe ich ihn zum zweiten Mal getroffen. Ihn öffentlich beschuldigt. Der alte Mann lebt noch immer. Hat einfach weitergemacht, unzählige Kinder zu Opfern, unbehelligt sein Leben gelebt. Nie beschuldigt. Nie gestoppt, nie bestraft.

Gott, wo bist du? Kirche, wen hast du geschützt?“  

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