„Ich trat meinem Täter gegenüber. Ich wollte es. Ich musste ihm in die Augen sehen. Es war ein abstruses Gespräch, in dem er sich rechtfertigte, in dem er immer wieder auswich. Keine Spur von Reue war zu erkennen. Es fiel ihm sichtlich schwer zuzugeben, dass er etwas Falsches gemacht hat. Wie auch immer. Am Ende des Gespräches vereinbarten wir, dass er sich schriftlich bei mir entschuldigen sollte. Es kam zu folgendem Briefwechsel:
Pfarrer: Hallo. Was mich gestern geschmerzt und aufgeregt hat, dass sie zu verstehen gegeben haben, dass ich ihnen Böses zugefügt habe. Ich will die Diskussion nicht weiter anheizen, sondern eingestehen, dass ich mit der Berührung Ihres Penis eine Grenze überschritten habe, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Ich wollte Ihnen nicht weh tun, nicht körperlich und nicht seelisch. Aber nun weiß ich, dass das falsch war und Sie sich dadurch geschändet gefühlt haben, was Sie mir aber nicht zu verstehen gegeben haben. Ich möchte Sie darum um Entschuldigung bitten, um Entschuldigung kann man nur bitten, man kann sich nicht selbst entschuldigen. Verbitten möchte ich mir aber Ihre Anschuldigungen, was meine pfarramtliche Wirksamkeit betrifft. Ich denke, das können andere besser beurteilen. Mein frommes Getue, meine Darstellung nach außen, wie Sie sie darstellen, das empfinde ich als eine Beleidigung.
Ich antwortete: Guten Tag Herr E., Ihr Brief mit der Bitte um Entschuldigung ist bei mir eingegangen. Allerdings bestätigt der Brief mir den Eindruck, den ich schon während des Gesprächs in der Kirchenverwaltung hatte, und der sich mir schon bei Ihrer Stellungnahme aufdrängte. Mein Eindruck ist, dass Sie keinerlei Unrechtsbewusstsein haben. Wie jämmerlich ist es alleine schon, dass Sie es nicht einmal schaffen, mich namentlich anzureden. Ich kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ihrer Bitte nicht entsprechen, kann Ihnen also keine Entschuldigung zugestehen.
Darauf antwortete Pfarrer E.: Hallo. Es fällt mir in der Tat sehr schwer, Sie anzureden. So wie Sie mir in Darmstadt begegnet sind, fällt es mir schwer ‚Sehr geehrter‘ oder gar ‚Lieber Herr B.‘ zu sagen. Ich bin nach Darmstadt gefahren in der Hoffnung, dass wir uns am Ende des Gesprächs umarmt hätten. Und ich wieder ‚Lieber T.‘ hätte sagen können. Sie bemängeln, dass ich keinerlei Unrechtsbewusstsein habe. Im Gegensatz zu den beiden Frauen, bin ich immer noch der Meinung, dass es richtig war, was ich getan habe. Dass ich Sie damit physisch und psychisch verletzt habe, das habe ich erst voriges Jahr im Juni, also 40 Jahre später, durch Ihren ersten Brief erfahren. Schade, dass Sie meiner Einladung zu einem Gespräch nicht nachgekommen sind. Wenn ich Sie jetzt um Entschuldigung bitte, dann nur dafür, dass ich Sie angefasst habe. Wie ich Ihnen mitgeteilt habe, ist es mir wichtig, dass ich in meinem Alter, ich bin inzwischen 81 Jahre alt, alles in Ordnung bringe, was vor meinem absehbaren Tod noch zu bereinigen ist. Und ich empfehle dringend, einmal nachzulesen, was Jesus zu dem Thema sagt: ‚Da wandte sich Petrus an Jesus und fragte ihn: Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester dir Unrecht tut, wie oft soll ich ihnen vergeben? Bis zu siebenmal? Jesus antwortete: Nicht nur siebenmal, ich sage dir, bis zu siebenundsiebzigmal.‘ Es wäre mir wichtig auch mit Ihnen in Frieden zu leben. Das wünscht sich von ganzem Herzen, Pfarrer E.“
Voller Zorn schrieb ich einen letzten Brief: Guten Tag Herr E. Ihnen scheint wohl nicht bewusst zu sein, dass Sie einen sexuellen Übergriff gegenüber Minderjährigen begangen haben. Eine Tat, die auch schon vor 40 Jahren unter Strafe stand. Mittlerweile bedauere ich es, dass ich erst jetzt den Mut gefunden habe, diese öffentlich zu machen. Hätte ich es früher getan, hätte die Chance bestanden, Sie vor Gericht zu zitieren. Sie haben den Tatbestand des sexuellen Übergriffs mir gegenüber mehrfach erfüllt. Ich bin sicher, es gibt noch andere Opfer. Vielleicht sollte ich mich auf die Suche begeben, damit wir gemeinsam gegen Sie vorgehen können. Sie wollen vor Ihrem Tod Ihr Leben in Ordnung bringen? Dann haben Sie noch einiges zu tun. Vor allem wäre es gut, fände ich, wenn Sie ehrlich zu sich selbst wären. Und zu dem stehen könnten, was Sie getan haben. Sie erwarten, dass ich Sie entschuldige? Warum? Sie haben doch keinerlei Schuldbewusstsein.“